Eberhard Arnold

Versammlungsprotokoll, 13. Mai 1934

[Arnold, Eberhard and Emmy papers - T.S.H.]

EA 227

Gemeindestunde, 13. Mai 1934. Der Jesus der vier Evangelien

Es ist uns klar geworden, daβ wir uns, als eine Gemeinde der Brüder, die man die Hutterischen nennt, und als eine Erneuerung der urchristlichen Gemeinde in Jerusalem, an Jesus zu halten haben. Es ist von entscheidender Bedeutung, daß wir den Jesus der vier Evangelien, den Sohn der Maria, der unter Pontius Pilatus hingerichtet wurde, in den Mittelpunkt unseres Glaubens und Lebens stellen und uns an ihn halten. Diesen durchaus unbekannt gewordenen Jesus, dessen Wort verdreht und entstellt, dessen Taten geschwächt werden, müssen wir als den neuentdeckten Jesus aller Welt vorhalten. Wir können unser gemeinsames Leben nicht anders führen als nach dieser Orientierung des Lebens, des Wortes und des Werkes Jesu.

Was uns aufgetragen ist, ist die Liebe Christi, die uns ins Herz eingegossen wird durch den heiligen Geist. Diese Liebe enthält keine Unklarheit menschlicher Gedanken oder Gefühle. Diese Liebe Jesu ist vielmehr vollkommen eindeutig klar geworden in seinem Leben. Auf die Jerusalemer Urgemeinde war durch den heiligen Geist die Kraft dieses Lebens Jesu ausgegossen worden. Durch seinen Tod und durch seine Auferstehung war dieses Leben besiegelt worden als die Offenbarung des Herzens Gottes, und durch den heiligen Geist ist diese Versiegelung des Lebens Jesu der Gemeinde mitgeteilt worden, daß sie ihm nachfolgen und sein Leben von neuem in diese Welt hineinwirken möge.

Von diesem Geist hatte Jesus vorausgesagt, er würde die Gemeinde erinnern an alle Worte, die er während seines Lebens gesagt hatte. Und er wird dieses Leben selbst innerhalb der Gemeinde in das klarste Licht stellen, und er wird von diesem Leben Jesu aus die ganz Zukunft des Reiches Gottes offenbaren und weiter: er wird in der Aussendung der Gemeinde die ganze Welt überführen und überzeugen in Beziehung auf Sünde, Gerechtigkeit und Gericht. Und weiter sagte Jesus, daß diese Dinge, Sünde, Gerechtigkeit und Gericht offenbar werden würden an ihm, an Jesus. Die Sünde sollte durch den heiligen Geist offenbar werden als das Nichtglauben Jesu gegenüber, die Gerechtigkeit sollte durch den Heiligen

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Geist offenbar werden an der Tatsache, daß Jesus den Thron Gottes eingenommen hat und daß er nun von dem Herrschaftsthron des Gottesreiches aus die Gerechtigkeit auf Erden zur Herrschaft bringen wird, und das Gericht sollte durch den Heiligen Geist so offenbar werden, daß der Fürst dieser Welt, der überall herrschende Zeitgeist aller Völker, der Gott dieser Welt, der Geist, der in allen nichtglaubenden Menschen sein Wesen treibt, gerichtet ist durch Jesus, gerichtet nicht durch eine gewaltige Machttat der Legionen von Engelfürsten über diesen gewalttätigen Satan, sondern gerichtet viel mehr durch die völlige, offenbar gewordene Liebe Jesu Christi, in welcher er am Kreuz gesiegt hat über den Satan, nicht als der Gewaltigere und Mächtigere, sondern als der Bessere und Liebendere.

Jesus ist offenbar geworden als der Beste und Liebendste, der jemals erkannt werden konnte. In seinem Leben und in seinem Sterben ist das Gutsein, die Liebe des Herzens Gottes, so offenbar geworden, wie sie an keiner anderen Stelle und zu keinem anderen Augenblick offenbar werden konnte. Wer also nun an seine Seite tritt und von dieser, seiner völligen Liebe ergriffen wird, der ist frei von dem Gericht über den Erdgeist und Zeitgeist, der diese Welt als ihr Gott und als ihre Obrigkeit regiert. Wer aber freilich dem Fürsten dieser Welt folgen will und dem überall herrschenden Geist dieser Zeit, wie er unter den Menschen geltend ist, folgen will, der ist mit dem Fürsten des Abgrundes, mit dem Erdgeist zusammen dem Gericht verfallen, denn er folgt ja der Ungerechtigkeit seines Mammons, der Falschheit und der Lüge und der Untreue seines Irrgeistes; er folgt ja dem Mordgeist des Abgrunds, und deshalb steht er unter dem Gericht, wie der Fürst dieser Welt selbst gerichtet ist.

Wer aber Jesus folgt und an ihn glaubt, hat die zerstörende Wut der Teufelswerke verlassen. Wer Jesus folgt und an ihn glaubt, wird nicht gerichtet, denn er ist schon gerichtet, gerichtet nämlich durch ein Gericht des Gemeindegeistes, welches sich an seinem Herzen und an seinem Leben, an seinem alten Mensch-

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tum vollzogen hat und ununterbrochen vollzieht, gerichtet in dem neuen Sinne der Gnade, daß mitten in dieses heilende Gericht die wirkliche Erneuerung und die völlige Beschenkung gegeben wird durch den Geist Jesu Christi. Überall also, wo die Gemeinde Jesu Christi wirklich ist durch die Ausgießung des Heiligen Geistes, herrscht dieser Heilige Geist, und wo er regiert, herrscht er als Offenbarung Jesu Christi, als eine Offenbarung, welche die sieghafte, alles beherrschende Zukunft Jesu enthüllt und der glaubenden Schar unmittelbar nahe bringt.

Das alles wird offenbar durch die Ausgießung des Heilgen Geistes in der Gemeinde, und das alles ist offenbar geworden durch das wirkliche Leben Jesu. Die Ausgießung des Heiligen Geistes kann keinen anderen Inhalt mit sich bringen als eben den Inhalt, den das Leben Jesu gehabt hat; denn Jesus Christus ist und bleibt derselbe, gestern als er der Sohn der Maria war, und heute, während er durch den Heiligen Geist seiner Gemeinde offenbar wird, und morgen, wenn er seine Herrschaft in dem Reiche Gottes als König antreten und durchsetzen wird.

Das Leben Jesu hat in seinem gesamten Tun und in all seinem Wort das letzte Geheimnis Gottes als die völlige Liebe geoffenbart. Zunächst gilt es zu erkennen, daß der Sohn der Maria selbst völlige Liebe ist; zunächst gilt es zu erkennen, daß seine Liebe die völlige Liebe zu Gott ist. Die Liebe kann nur dort ihren Ursprung nehmen, wo ihre Quelle ist. Die Quelle aller Liebe ist Gott selbst. Nicht wir haben ihn zuerst geliebt, sondern Er hat uns zuerst geliebt, indem er seinen Sohn für uns alle gegeben hat.

Das Leben und Tun Jesu also und sein vollendetes Werk bringt uns diese Liebe Gottes unmittelbar nahe, und als diese Liebe Gottes offenbart sich sein Leben als Liebe zu Gott. Die Gottesliebe also ist die Liebe, die von Gott ausgeht, und es ist die Liebe des Glaubenden zu Gott selbst. Aus dieser Liebe zu Gott ist alles geboren worden, was Jesus gesagt und getan hat. Schon, daß er sich der Johannes-Taufe angeschlossen hat und sich in dieser Taufe dem Tode geweiht hat, zeigte deutlich, daß er alle Gerechtigkeit Gottes erfüllen wollte aus Liebe zu ihm bis zum Opfertode am Kreuz. Und er, als er nun hinaustrat unter die Menschen, rief er es aus, was einzig und allein sein Herz bewegte und bestimmte: Das Reich Gottes ist nahe gekommen; um Gott geht es, um Gottes Geltung handelt es sich. Er allein soll herrschen. Er allein soll alles erobern, alles soll in seinen Bezirk kommen, alles soll sein Gebiet werden. Das Reich Gottes ist nahe herangerückt!

Bevor er zu diesem Ruf an die Welt hinaustrat, bestand er den Kampf gegen den Fürsten dieser Welt. Seine Liebe zu Gott erwies sich als sieghaft in der dreifachen Versuchung des Satans. Der Geist der Erde hatte ihm (als Fürst der Welt) angeboten, daß er aller Welt

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Throne, alle großen Staaten einnehmen könne, wenn er sich nur mit ihm verbinde, mit dem Geist des Mammons und der Lüge und der Unreinheit und des Massenmordens, dann bedürfe er gar nicht eines so langen Weges durch Kreuz und Auferstehung, Geistesausgießung, Gemeindeaufrichtung und letztes Gericht. Dann könnte sofort die ganze Welt eingenommen werden durch die Regentschaft Jesu in der Verbindung mit dem Weltfürsten.

Und weiter ging der Versucher und stellte an Jesus die Aufforderung, er solle seine eigene Größe proklamieren, er solle zeigen, wie groß er sei als der Menschensohn, er solle sich manifestieren in einer gewaltigen Überlegenheit über alle Naturgesetze, er sollte vor allem Volk als der ganz große Mensch triumphieren über das Gesetz der Natur, er solle die demagogische Waffe benutzen, um mit dem Eindruck gewaltiger Größe und Macht das Volk zu gewinnen. Und diese suggestive Gewalt über das Volk sollte weiter ausgewertet werden, indem er dem Volk reichlich Brot in die Hand geben sollte, gerade dort, wo gar kein Brot sei, und das alles sollte er tun durch eine innere Verbindung mit dem Geist, der in dieser Welt auch vor dem Kommen Jesu und auch nach dem Kommen Jesu gegen Gott wirksam war.

Jesus aber liebte seinen Vater mehr als alles. Ihm lag es nicht an der Herrschaft irgendeines Reiches. Ihm lag es nicht an der gebietenden Macht über die ganze Erde. Ihm lag es nicht an der Gewinnung des Volkes als eines riesigen Anhangs. Ihm lag es nicht daran, die Menschen für sich zu gewinnen, sondern ihm lag es einzig und allein an der Liebe zu Gott. Und deshalb schlug er den Satan aus dem Felde: Hebe dich hinweg, Satanus, ich will Gott allein dienen. Und der Mensch lebt nicht nur von Brot und Nahrung des Leibes, sondern der Mensch lebt vielmehr aus einem jeden zündenden Wort, das aus dem Atem Gottes geboren ist, ja, das aus dem liebenden Herzen Gottes heraus lebendig geworden ist.

Dieses Wort des Herzens Gottes hineinzubringen unter die Menschen, dazu war Jesus gekommen. Die Anbetung und Ehrung dieses Gottesherzens unter den Menschen zu vertreten und zu verbreiten, dazu wollte er das Gottesreich.

Diese Versuchungsgeschichte beweist aufs deutlichste, welche unheimlichen Gefahren jedes menschliche Herz umschleichen, und ganz besonders jedes von höherer Berufung getroffene Menschenherz. Und deshalb setzte Jesus seiner Verkündigung: "Das Reich Gottes ist nahe herangerückt!" den Ruf zur Buße, zur innersten Umdenkung, zum gänzlichen Umsturz des ganzen bisherigen Lebens voraus. Verändert euer Leben von Grund auf, nach jeder Richtung hin, bereitet euch auf das kommende Reich durch eine gänzliche Umstellung alles dessen, was ihr bisher empfunden, gedacht

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und gewollt und getan habt! Es steht das gewaltigste Ereignis bevor, gegen welches alle anderen Ereignisse der Menschheitsgeschichte nichts bedeuten. Jetzt kommt Gott zu den Menschen. Jetzt beginnt erst Geschichte unter den Menschen. Vorbereitende Geschichte war wohl schon da. Aber jetzt beginnt erst die wirkliche Geschichte, die alles entscheidend, heranbringende und alles verändernde Geschichte; denn das Reich Gottes kommt. Dafür nun müßt ihr euch zubereiten. Deshalb ist der entscheidende Ruf an euch dieser eine: Liebt Gott! Ändert euch so, daß ihr von ganzem Herzen zu lieben vermögt! Ändert euer Leben so, daß alles, was ihr tut, nichts anderes ist als Liebe zu ihm, und ändert euch so, daß ihr in dieser Liebe zu ihm nicht nur eure persönliche Herzenssache seht, sondern daß ihr vielmehr in dieser Liebe zu ihm den Umsturz aller Dinge seht und die Beseitigung aller Ungerechtigkeit seht, eben die Gewinnung seiner Herrschaft über alle Lande und über alle Völker. Ihr steht beständig unter dem mächtigen Einfluß des Raubtieres, das wie ein Engel des Lichtes euch umschleicht und euch vorsprechen will, auf seinem Wege würde alles allmählich besser.

Ihr müßt also umdenken, gänzlich umdenken, damit ihr diesem irreführenden Einfluß nicht mehr erliegen könnt. Ihr müßt nur noch an eine einzige Freudennachricht glauben können und jede andere von Grund aus ablehnen. Nur die eine einzige Freudennachricht sollt ihr glauben: Gott ist nahe! Seine Herrschaft bricht herein! Von nichts anderem habt ihr etwas Gutes zu erwarten. Das ist euer Umdenken und das Umschalten eures gesamten Lebens. Glaubt an diese Botschaft, an diese Nachricht, an dieses Evangelium!

Jesus hat nun dieses Evangelium nicht nur in diesen kurzen Worten des Bußrufes verkündigt. Er hat es auch nicht nur in einer Fülle von Gleichnissen den Menschen nahegebracht, er hat es auch nicht nur in symbolischen Taten und Wunderwerken als Tatsache und als tatsächlichen Vorgang unter die Menschen gestellt, sondern er hat den Inhalt dieser Nachricht auch in klarsten, bestimmten Worten vertreten. Wir sollten ganz klar darüber werden, daß der Geist Gottes kommt, daß seine Herrschaft naht.

In der Unterredung mit Nikodemus, die am Anfang des Johannes-Evangeliums zu finden ist, sagt Jesus, daß die Erkenntnis, das Schauen dieses Reiches Gottes, das Hineinverleibtwerden nur möglich ist, durch einen gänzlichen Neuanfang des menschlichen Lebens. Wenn ein Kind geboren wird, so tritt etwas vollkommen Neues in unsere Mitte. Dieses Kind war nicht da. Wir wissen noch nichts von diesem Kinde, als daß es jetzt da ist und sein Leben beginnt. Gerade so soll der Neuanfang sein, der notwendig ist, um das Reich Gottes zu schauen und hineinzugehen. Der einzelne

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Mensch muß so erneuert werden, daß er wie ein eben geborenes Kind sein Leben ganz und gar von vorn beginnt. Er muß ganz neu geboren werden. Diese neue Geburt aber bekommt einen bestimmtesten Sinn. Wie ein Kind hineingeboren wird in eine Familie und bei uns in eine Gemeinde wie das [heute] neugeborene Kind: Agnes [Keiderling], so hat die Neugeburt des Geistes, die Wiedergeburt des Menschen, den Sinn, daß der Mensch hineingeboren wird in das Reich Gottes. Die Umgebung, in die er hineingeboren wird, das, was er schaut von der Stunde seiner Neugeburt an, ist das Reich Gottes und nichts anderes als das Reich Gottes. Laßt euch nicht verwundern, daß ihr von neuem geboren werden müßt; denn ohne diese Neugeburt könnt ihr das Reich Gottes nicht sehen. Ohne diese Neugeburt könnt ihr nicht in das Reich Gottes kommen. Es geht also bei dieser Wiedergeburt um nichts anderes als um das Reich Gottes. Das Subjektivste ist hier das Objektivste.

Bei Matthäus nun wird das Geheimnis dieser neuen Geburt, wird das Schauen dieser neuen Welt, in die das neugeborene Kind hineingestellt wird, aufs klarste geschildert. Am Anfang des Matthäus-Evangeliums steht die Bergpredigt, die uns zeigt, welcher Art und welchen Charakters dieses neue Leben der Wiedergeburt für das Reich Gottes ist, was man da eigentlich sieht und schaut, wenn man das neue Leben gewinnt, in welch eine Welt man hineingeboren wird, wenn man wahrhaft wiedergeboren wird. Das neue Leben bringt eine Gerechtigkeit, die mit keiner menschlichen Moral, mit keiner menschlichen Sozialordnung und mit keiner menschlichen Theologie zu vergleichen ist. Das neue Leben der Wiedergeburt bringt eine Gerechtigkeit, die nichts anderes ist als das Gutsein Gottes, nichts anderes als das gute Herz Gottes. Diese Gerechtigkeit also ist besser als alles, was jemals von Menschen gedacht, gefühlt, gewollt oder gesagt worden ist; denn diese neue Gerechtigkeit ist die Wirkung Gottes selbst. Die neue Gerechtigkeit ist die Ausgießung seines Geistes. Die neue Gerechtigkeit ist die Wesenhaftigkeit seines innersten Lebens. Die neue Gerechtigkeit ist das Aufleuchten seines kommenden Lichtes. Die neue Gerechtigkeit ist die Salzkraft des Salzes. Sie ist also Wesen, Wesentlichkeit, Wesenhaftigkeit, wesentliche Wirkung Gottes, und deshalb ist diese neue Gerechtigkeit lebendigstes Leben, freieste Beweglichkeit und Regsamkeit. Denn diese neue Gerechtigkeit ist aus Gott geborenes Leben, und deshalb ist also diese neue Gerechtigkeit jeder Art von Selbstgerechtigkeit, jeder Art von Menschengerechtigkeit gänzlich entgegengesetzt.

Die Selbstgerechtigkeit und menschliche Gerechtigkeit beginnt beim Selbstbewußtsein und beginnt bei der Erhebung menschlicher Gerechtigkeitsforderungen und Ansprüche. Die göttliche Gerechtigkeit als die neue Gerechtigkeit aber beginnt im Bettlerwerden, im Armwerden,

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im Gerichtetwerden, im Bettelarmwerden, in dem Erlöschen aller Besitzteile, [Besitzanteile?] aller Anrechte und aller Vorrechte.

Und weiter: die neue Gerechtigkeit beginnt in der Belastung durch das gesamte Leid der Welt. Die neue Gerechtigkeit beginnt darin, daß sich das Leid mit ganzer Weltschwere auf das menschliche Herz, auf das glaubende Herz legt. Die menschliche Gerechtigkeit weiß zwar auch etwas von dem Mitleid mit der Welt, aber sie schlägt sofort um in den Haß, in den blutdürstigen Haß gegen alle die, welche dieses Leid verschuldet haben. Und sie wird deshalb zur Ungerechtigkeit, weil sie unter den Schuldigen - in der Tat sind alle Menschen schuldig - irgendeine Gruppe besonders Schuldiger aussucht, um sie mit blutdürstigem Haß zu bekämpfen.

Die Gerechtigkeit des neuen Reiches Jesu Christi begehrt mitten in der Lieblosigkeit und der Friedlosigkeit den allumfassenden Frieden Gottes, begehrt die Güte und die Liebe, die Herz hat für alle Menschen, auch für die Schuldigsten, die Barmherzigkeit hat auch mit denen, die sich aufs Schwerste am Frieden und an der Gerechtigkeit versündigt haben. Denn diese neue Gerechtigkeit, diese Gerechtigkeit Gottes offenbart sich als das zum Tode bereite, als das zum Opfer bereite Herz Gottes, als der Wille, der nicht die Schuldigen umbringen will, sondern der sich vielmehr umbringen lassen will für die Schuldigen, damit sie unschuldig würden, indem sie den innersten Sinn und Wert dieses Liebesopfers erfassen könnten, indem sie in dieser Opferbereitschaft bis zum letzten Blutstropfen Gott und sein Herz erkennen und erleben könnten. So also allein kann Gott gefunden werden, wenn man für seine Gerechtigkeit und für sein Reich den Tod zu erleiden bereit ist. Das Letzte, was wir Menschen haben und festzuhalten versuchen, unser leibliches Leben, auch dieses letzte Anrecht und Vorrecht muß bereitstehen zur Opferung. Dann allein sind wir wahrhaft neugeboren für das Reich Gottes.

So eröffnete Jesus am Anfang der Bergpredigt die Erkenntnis des Gottesreiches, und nun geht es weiter, so, wie es weitergehen muß aus dieser Wurzel, dieser innersten Wesenheit Gottes heraus: Jetzt werden die Feinde geliebt. Jetzt gibt man aus Liebe den letzten Besitz hin, jetzt gibt man den letzten Mantel, den letzten Rock, das letzte Hemd. Jetzt vergilt man keine Gewalt mit Gewalt. Jetzt widersteht man dem Übel nicht dadurch, daß man ihm mit Üblem antwortet. Hier ist Treue und als Treue Reinheit, auch in der körperseelischen Beziehung der Menschen. Hier ist die allein gute, die wahrhaft bessere Gerechtigkeit als Offenbarung der vollkommenen Liebe, als Offenbarung der ewigen Treue in der Liebe, deshalb auch in der unantastbaren Einehe zwischen Zweien. Ihr sollt also in eurer Art ebenso vollkommen sein, wie der Vater selbst vollkommen ist; auch in eurem Wort sollt ihr so vollkommen sein, daß ihr nichts Überflüssiges sagt, sondern schlicht

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und klar und knapp [und] wahrhaftig seid. Es gibt aber keine andere Wahrhaftigkeit als die der Liebe; es gibt keine andere Vollkommenheit als die der Liebe.

Deshalb fährt Jesus fort: Es wird klar, welcher Art die Dinge sind, die die Liebe vereiteln und zerstören. Es ist der Mammon. Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon zugleich dienen. Ihr könnt nicht dem Eigentum und der Liebe zugleich dienen. Ihr könnt auch nicht der Existenzsorge und der vertrauenden Liebe zugleich dienen. Wo Vermögen angehäuft wird oder auch nur ein kleinstes Vermögen für die eigenen Interessen festgehalten wird, während Mitbrüder und Mitmenschen hungern und frieren und ihr Dach über dem Kopf nicht halten können, ist keine Liebe. Darum sagt Jesus: Sammelt euch kein Vermögen, habt nichts, was euch selbst gehört, keine verborgenen Schätze irgendwo, kein Reservat von Eigentum irgendwo.

Aber habt auch keine Existenzsorge; denn diese Existenzangst sucht ja auch krampfhaft die äußere Grundlage aufrechtzuerhalten, genauso wie der Mensch sein Bankkonto, sein Landgut für sich noch erhalten will. All dieses gehört ebenso dem Mammon an wie das Festhalten der Vermögenswerte. Die graue, nebelhafte Sorge entstammt ebenso dem Mammonsgeist wie das goldene, glitzernde Geld. Darum sorgt nicht! Lernt von der Natur, die ihr lieben sollt als die Schöpfung Gottes! Schaut auf die Vögel und Blumen! Glaubt an den liebenden Vater, der ihnen den Tisch deckt und das Gefieder und das farbige Gewand beschert.

Die Gerechtigkeit des Reiches Gottes, die Erneuerung des wiedergeborenen Herzens bedeutet Ungeteiltheit des Herzens, ein Auge, das allein auf Gott konzentriert ist. Das Herz des Menschen ist einem inneren Auge vergleichbar, einem Auge, das sich auf seinen Gegenstand sammelt und konzentriert, einem Auge des konzentrischen Blickes. Das, wofür das innere Auge nun gesammelt ist, ist Gott allein.

Wenn euer inneres Auge wirklich allein auf Gott konzentriert ist, könnt ihr kein Vermögen haben, könnt ihr auch keine Sorgen haben. Sondern hier erfaßt ihr es: Die Anrufung Gottes ist das Vertrauen auf seine Liebe. Die Anrufung Gottes ist das Erflehen seiner Herrschaft, das Tun seines Willens, die Heiligung seines Namens; sie ist das Geschenk des täglichen Brotes im Geistlichen wie im Zeitlichen. So seid ihr mit dem einfältigen Auge neuen, liebenden Herzens frei von dem Bösen und seiner Gewaltherrschaft, von der Versuchung, die auch die letzte Stunde dieser Welt erschüttert. So ruft zu Gott!

Diese Liebe zu Gott aber bedeutet Liebe zu allen Menschen, weil ja Gott alle Menschen liebt und sein Herz auf alle Menschen gerichtet ist, weil Gott barmherzig ist zu allen Menschen und allen seine Sonne scheinen läßt und allen seinen Regen gibt. Deshalb kann der

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von Gottes Liebe zur Neugeburt gekommene Mensch keinen Menschen richten, sondern er muß für alle Menschen Glauben haben. Deshalb sagt Jesus: Richtet die Menschen nicht, sondern liebt sie. Gericht bedeutet ein endgültig abschließendes Urteil fällen. Das dürft ihr niemals, sondern immer muß die Hoffnung der Liebe, das Vertrauen des Glaubens den Ausweg der Heimkehr, die Rettung für das Reich Gottes offen lassen.

Aber hütet euch um der Liebe willen, die ihr zu Gott habt, daß ihr das Heiligste, was in euren Herzen lebt, nicht solchen Menschen preisgebt, die dafür nicht reif sind. Denn dann würdet ihr durch eine Scheinliebe die wirkliche Liebe zu Gott verlassen haben. Deshalb sprecht mit den Menschen so, wie es ihrer inneren Aufnahmefähigkeit entspricht, wie sie es fassen können, ohne daß ihr von der Wahrheit ein Körnchen verleugnet. Beides also wäre Sünde gegen die Liebe zu Gott: Das Richten der Menschen und das wahllose Teilen des Heiligtums mit ungeklärten Menschen. Beides wäre Sünde gegen die Liebe, gegen die Liebe zu Gott und gegen die Liebe zu den Menschen.

Wißt es, daß Gottes Liebe immer größer ist als euer Urteil und eure Meinung, daß Gottes Liebe immer reiner und unantastbarer ist als das, was ihr Liebe nennt. Gott allein kennt das Herz der Menschen, er kennt das Herz der Schuldigen und der Unschuldigen bis in ihr Innerstes hinein. Darum erbittet den Geist, der aus Gottes Herzen kommt, damit ihr im Umgang mit Menschen die Weisheit habt, die ihr von euch selbst nicht empfangen könnt.

Aber einen Ratschlag muß ich euch geben: Handelt mit allen Menschen so, wie ihr es wünscht, daß sie mit euch verfahren möchten! Ihr wollt es für euch, daß Gott euch versorgt an Leib, Seele und Geist. Was ihr nun für euch erwartet, das sollt ihr allen Menschen erweisen. Das soll ohne Ausnahme so geschehen. Das ist die neue Gerechtigkeit. Ihr dürft also die Guttat eurer Liebe nicht auf Menschen eurer Wahlverwandtschaft beschränken; denn Gott liebt alle Menschen, wie sie auch sind oder sein mögen. Und so liebt auch ihr alle Menschen mit der Liebe, die von Gott ist und tut alles das an ihnen, was ihr wünscht, daß es an euch und den Eurigen geschehen möchte! Die Wahrheit des Reiches Gottes ist die echte Liebe als die neue Gerechtigkeit, die alle umfaßt.

Dieser evangelische Ratschlag: "Tut an allen Menschen das, was ihr an euch selbst getan wissen wollt und an euren nächsten Anverwandten getan wissen wollt", - das ist die enge Pforte, durch die ihr eintreten müßt. Diese neue Gerechtigkeit ist besser als die aller Moralisten und Theologen. Das ist der enge Bergpfad, der Eingang ins Reich Gottes, der Aufstieg zur Stadt auf dem Berge:

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Liebt die Menschen so, wie ihr euch selbst liebt, und liebt sie deshalb so, weil ihr Gott liebt und weil ihr es erfahren habt, daß Gott alle Menschen liebt! Ihr nehmt es an, daß für euch, für Leib und Seele und Geist gesorgt wird, eben dasselbe müßt ihr allen Menschen erweisen. Nur dann kennt ihr die Tür zum Reich Gottes, nur dann kennt ihr den schmalen Saumpfad am Abgrund, der hinaufführt zur Stadt Gottes.

Ihr werdet freilich nur ganz wenige sein, die jetzt schon diesen Weg gehen, und störende Geister und gewaltige feindselige Mächte werden gegen euch auftreten. Ihre äußere Gewalttätigkeit wird euch wenig anhaben können; denn sie kann euer Gewissen nicht töten und euren Willen nicht verändern. Aber gefährlicher ist die falsche Prophetie, die sich mit dieser Gewalttätigkeit verbindet und das einfältige Auge verwirren will. Deshalb ist es notwendig, daß ihr die falsche Prophetie erkennt. Ihr erkennt sie an ihren Taten, vor allem an dem einen Zeichen ihrer Haltung, ob sie es mit der Raubtiernatur hält oder nicht. Alles, was sich mit der Raubtiernatur des Mammons und der ungetreuen körperlichen Leidenschaft und mit der Raubtiernatur des Blutvergießens und des lügnerischen Geschäftsprofits verbindet, ist falsche Prophetie. Alles, was sich mit der Raubtiernatur eines Kollektiv-Egoismus verbindet, ist falsche Prophetie. Hütet euch vor der verhüllten Natur des Raubtiers, der falschen Prophetie und liebt den wahren Propheten. Ihn erkennt ihr an dem Wesen seiner Liebe.

Diese Liebe ist allein darin letztlich klar zu erkennen, daß der wahre Prophet sein Leben läßt für die geliebten Brüder. Die Bereitschaft zur Opferung des eigenen leiblichen Lebens, ohne ein anderes Leben zu verletzen oder zu kränken, das ist das Kennzeichen der wahren Prophetie.

So enthüllte Jesus in der Bergpredigt den Charakter des neuen Lebensweges und des neuen Reiches Gottes und so zeigte er, wie der Lebensbau geartet ist, der nicht stürzen kann, durch keine Macht der Welt verderbt werden kann; und mit dem Inhalt dieser Bergpredigt verkündigte er die Wahrheit überall und immer aufs neue.

Indessen hatte sich eine gewaltige Feindschaft sehr bald gegen ihn erhoben. Seine Gegner umstellten ihn mit hinterlistiger Klugheit und suchten ihn in rationalen Diskussionen einzufangen, und sie suchten ihn auch so weit zu bringen, daß sie eine Ursache fänden, ihn zu töten, eine Ursache, die vor dem Volk und vor der Regierung bestehen konnte; denn auch das Raubtier muß klug sein. Auch die falschen Raubtierpropheten müssen klug sein, sie dürfen das Böse nicht als unmittelbar böse offenbar werden lassen, sondern sie müssen es verhüllen mit dem Mantel des Guten. Deshalb suchten sie eine Ursa-

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che, um welcher willen Jesus vor dem Gewissen des ganzen Volkes und vor dem Gewissen der Regierung als des Todes schuldig erkannt und verurteilt werden könnte.

So lehnte die führende Schicht des Volkes und immer größere Teile des Volkes Jesus um so mehr ab, je länger er wirkte, nachdem er seine Zwölf zu Zweien und zu Zweien und seine Siebzig zu Zweien und zu Zweien ausgesandt hatte in gewaltiger Vollmacht.

Nachdem sie zurückgekommen waren, ohne daß das israelitische Volk gewonnen war für das Reich Gottes, faßte Jesus einen gewaltigen Entschluß. Er zog sich auf seine Gleichnisse zurück. Diese Gleichnisse sollten den Zudringlichen die Wahrheit verhüllen, damit das Heiligtum nicht den Raubtieren ausgeliefert würde, und diese Gleichnisse sollten zugleich denen, die wirklich hören wollten, die Wahrheit um so tiefer deuten. Die, die mit falschem Herzen etwas hören wollten, um es dann widerlegen zu können, sollten an den Gleichnissen an eine Mauer rennen, durch die sie nicht durchzudringen vermochten, wie auch bis zum heutigen Tage keine Theologie und keine falsche Prophetie die Gleichnisse jemals verstanden hat.

Den aufgeschlossenen Herzen aber sollte die Gemeinde aufgetan werden. Hier wurde der letzte Sinn der Reich-Gottes-Botschaft offenbar. Er wurde zunächst offenbar insbesondere an den Gleichnissen der Einheit, so an den Gleichnissen der Hochzeit und des Abendmahls, der tiefsten Vereinigung, die zwischen Menschen möglich ist, und der umfassendsten und zugleich innigsten Gemeinschaft bei Tisch, die unter Menschen möglich ist. Die völlige Vereinigung und die Gemeinschaft vieler an einem Tisch, das ist das Geheimnis des Reiches Gottes. Aber diese Hochzeit und dieses Abendmahl wird in Verbindung gebracht mit dem König und dem Königssohn, damit man erkenne: diese Gemeinschaft des Gottesreiches unter den Menschen ist nicht Selbstwert an sich, sondern sie erhält ihren Wert nur dadurch, daß der König es ist, der diese Hochzeit feiert, der zu diesem Abendmahl einlädt.

Das Reich Gottes wird verglichen mit der königlichen Hochzeit und mit dem königlichen Abendmahl, und weiter zeigen die Gleichnisse später, daß diese Einheit nicht nur in der Freude der Vereinigung besteht, sondern auch in der schaffenden Tätigkeit dieser Vereinigung. Darum vergleicht Jesus das Reich Gottes mit dem Arbeiten im Weinberg, und an einem anderen Platze mit dem Arbeiter, der Ja tut, während er Nein sagt. Wirkliche Einheit und Gemeinschaft ist nur dort, wo gemeinsame Arbeit ist; denn die Liebe ist (die) Tat.

Und wenn man weiter fragt: was ist denn diese Tat?, so zeigen uns die Gleichnisse Jesu: Diese Tat ist die äußerste Hingabe. Diese Tat ist die Arbeit, die auf die Zukunft gerichtet ist; eine Arbeit, die gänzlich von dem Himmelssegen abhängig ist. Der Sämann wird mit dem Reich Gottes verglichen; aber auch der Ackermann, der da wartet auf die Witterung, wird mit dem Reich Gottes

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verglichen und auch der Acker, der von dem der Aussaat so täuschend ähnlichen Unkraut durchsetzt ist, wird mit dem Reich Gottes verglichen.

Die letzte Bereitschaft fÜr das Reich Gottes ist Arbeit in der vereinigten Liebe und zugleich glaubende und liebende Erwartung Gottes, daß er selbst alles entscheidend bewirkt. Deshalb ist also dieser neue Inhalt nicht zusammenzuflicken mit dem alten Gewand alter religiöser und sozialer Bestrebungen. Alles vielmehr, was man vorher hatte, muß weggegeben werden für das einzige Juwel: für das Reich Gottes. Alles, was irdische Güter waren, muß verkauft und verlassen werden. Das ist der einzige Weg zum Reich Gottes. Und auch alle alten Bestrebungen müssen verlassen werden, um den einen einzigen Weg zum Reich Gottes zu beschreiten.

Das ist ein Entschluß, der den Menschen schwer ankommt; denn zunächst wirkt das Reich Gottes nur wie ein Sauerteig. Das Brot ist die ganze Welt aller Völker und aller Menschen, und mitten in diese Völker der ganzen Menschheit ist der Sauerteig der Wahrheit hineingewirkt. Das Reich Gottes ist wie ein kleines Saatkorn, das einmal ein großer Busch werden soll, jetzt aber noch unscheinbar im Aufwachsen ist. Es wird einmal eine große Weltesche werden, unter der alle Völker ihren Wohnsitz und Schutz finden werden. Jetzt aber ist es nur ein kleines unscheinbares Saatkorn. Die Bedeutung dieses Saatkorns liegt darin, daß es wirklich lebendig ist und daß seine Lebendigkeit die Wesensart der Gottesesche hat, jenes lebendig umfassenden Baumes, der alles unter seinen Ästen vereinigen wird, daß alles unter ihm wohnen und leben kann.

Das Furchtbare aber ist, daß diesem Wachstum gegenüber eine feindliche Macht tätig ist, welche all das nachahmt, was Gott wachsen läßt und Unkraut zwischen die reine Saat streut. Die wahre Bereitschaft des Glaubens läßt sich dadurch nicht beunruhigen. Sie rottet das Unkraut nicht aus, sie läßt sich zu keiner gewalttätigen Handlung hinreißen. Sie läßt beides wachsen bis zur Ernte, zu welcher Stunde Gott selbst eingreifen wird.

Der Glaube der Bereitschaft läßt sich niemals verleiten zu einem ungläubigen Gewalteifer. Das Reich Christi wendet niemals die Mittel des Satansreiches an. Das Reich Christi weiß, daß es den Satan in seinem innersten Gemach entwaffnen muß, da, wo er die geheimste Gewalt entfaltet, an der Stätte des Todes, an der Stätte der Sünde, die die Waffe des Todes ist; und so weiß es, daß das Reich Christi diese dem Satan aus der Hand geschlagene Waffe niemals selbst in die Hand nehmen darf. Deshalb ist es frei von allen Mitteln der Gewalttätigkeit und der Lüge. Es ist ein Reich der reinen Liebe und dadurch ein Reich des völligen Sieges.

Hieraus also wird deutlich, was in der Bergpredigt schon klar gewesen war, welchen Charakter auch in den Gleichnissen die Genossen des Reiches Gottes, die Bürger der Gottesstadt haben müssen.

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Ihr Grundcharakter ist die Wesenhaftigkeit der Kraft. Wie Fels und Baum sind sie unerschütterlich in allen Stürmen und allen Gewässern, und wie die fruchtbaren Bäume tragen sie ihre Frucht, und diese Frucht ist immer dieselbe: Liebe und Freude, Einheit und Hingabe in der Einheit, innerste Bereitschaft und Sammlung auf das Reich Gottes. Das wird klar: Der Baum darf nicht unfruchtbar sein, sonst wird er abgehauen; der Diener darf nicht unbarmherzig sein, sonst wird er aus der Hausgemeinschaft entfernt. Wer bei dem Mahl der Vereinigung und Tischgemeinschaft lieblos den obersten Platz suchen will, muß hinausgetan werden; wer nicht festlich gekleidet sein will, muß den Eßsal verlassen. Wer lieblos ist gegen seine Mitknechte und Mitdiener, muß hinausgetan werden. Die Liebe zu den Menschen also und die Bereitschaft für das Kommen Gottes ist das Entscheidende, auch in den Gleichnissen.

Das sehen wir an dem Gleichnis der zehn Jungfrauen, der fünf, die ganz bereit waren durch den Geist und der fünf anderen, die nur halb bereit waren ohne den Geist. Das sehen wir auch an dem anhaltenden Rufen und Bitten des bittenden Freundes vor dem Fenster und des bittenden Kindes. Die Bereitschaft muß eine anhaltende Treue, ein wachsamer, beständiger Ruf sein. Das sehen wir auch an dem getreuen Haushalter und an dem getreuen Knecht, an den Verwaltungsbeamten, die treu, beharrlich und wachsam die ihnen anvertraute Sache zu halten haben. Das sehen wir auch an den Talenten, den Pfunden, an den anvertrauten Gütern. Sie sind treu in der Hand zu halten und treulich auszuwerten. Jedem, der diese Treue nicht anwendet und festhält bis ans Ende, wird einst die Tür verschlossen sein. Jeder sollte sich klar sein, daß ein solcher Turmbau und eine solche Kriegführung nur dann durchzuführen ist, wenn er alles dafür einsetzt und die Kräfte aufbieten wird, um den Bau hinauszuführen und den Kampf bis ans Ende durchzuhalten.

Der Charakter tätiger, beharrender Liebe ist der Charakter der Bürger der Gottesstadt. Niemand huldigt hier einem eigenen Wohlleben. Das Gleichnis vom armen Lazarus zeigt uns deutlich, daß nicht etwa der reiche Mann besonders wucherisch gewesen war, sondern er hatte nichts anderes im Sinn, als seinen Reichtum zu genießen. Die überflüssigen Almosen gab er sogleich reichlich dem armen unglücklichen Bettler, der auf den Treppen seiner Eingangstür lag. Und doch hatte er nichts mit dem Reich Gottes zu tun, weil er die große Menge seines Reichtums für sich selbst genoß und nur aus dem Überfluß ein wenig abgegeben hat. Das aber gibt es im Reich Gottes nicht. Hier gibt es nur das demütige Herz, das alles hingibt, was es hat und ist, das sich erlösen läßt von allem eigenen Dünkel, von allem eigenen Wesen, wie es bei dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner offenbar wird. Nur der, der sagen kann: Gott, sei mir Sünder

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gnädig! gehört zum Reich Gottes. Wer aber noch sagen kann: Wie bin ich doch glücklich, daß ich nicht so bin wie jener, der gehört nicht in das Reich Gottes, ebenso wenig wie jener törichte reiche Mann, der seine Scheune vollhäufte und dachte: Ich will lieber noch eine Scheune bauen - und in derselben Nacht war er tot.

Reichtum an Gütern und eigener Moral verschließen beide die Tür zum Reich Gottes. Das zeigt das Gleichnis vom verirrten Schaf, vom verlorenen Sohn und vom so lange vergebens gesuchten Geldstück. Gerade der Sohn, der ganz arm und verirrt war, empfing die größere Liebe, als er heimkehrte und sich der Hausgemeinschaft völlig hingeben wollte, wenn es auch am niedrigsten Platze war. Das verirrte Schaf, das schmutziger und entkräftigter war als die anderen, wurde mit der besonderen Liebe aufgesucht und der Herdengesellschaft neu einverleibt. Das verlorene Stück Geld wurde länger gesucht, länger mußte man sich mit ihm beschäftigen als mit dem, das in der Hauskasse geblieben war. Alles das aber wird nicht zur Erhöhung des eigenen Wertes gesagt, sondern vielmehr dazu, daß man erkenne: auch das Verlorenste, Beschmutzteste, Vereinzeltste, Vereinsamste und Fernste, das soll alles in die Gemeinschaft des Reiches Gottes gebracht werden, in die Vereinigung, in die Nutzbarkeit für das Ganze und die Gesamtheit, ehe die Tür zum Vaterhaus, zum Schafstall oder zu der Schublade verschlossen wird. Es geht letztlich nicht um das eine Schaf, um den einen verlorenen Sohn, um den einen Silberling, sondern es geht letztlich um die Heimkehr in die wahre Herde, in die wahre Hürdenvereinigung mit dem wahren Hirten, um die Einheit auf der wahren Heide und Weide, damit hier wirklich Gemeinschaft entstehe und die Liebe zum Einzelnen und Ganzen als Liebe zu Gott offenbar werde.

Das ganze Geheimnis des Reiches Gottes gleicht einer Landschaft, einer großen Anpflanzung, in welcher alles zusammengehört. Es ist organische Einheit und Einigkeit und Gemeinschaft. Diese organische Einheit gleicht einem Weinstock, einer Pflanze, in welcher Christus selbst und sein heiliger Geist die Liebe, die Kraft und Zusammenfassung des Lebens ist.

Wenn wir so die Gleichnisse erfassen, wird uns klar, warum Jesus auch jenes Wort vom Splitter und Balken gesagt hat: Menschen wollen immer gern einander sagen, was der andere falsch gemacht hat. Wir sollen auch einander helfen. Das geht aber nur so, daß das große Stück Holz erst aus unserem eigenen Auge hinweggenommen wird, damit auch das kleinere Stück Holz hinweggenommen werden möge. Wir müssen selbst gereinigt sein für den innersten Charakter des Reiches Gottes. - -

Nach diesem Gleichnis ist Jesus noch einmal offensiv geworden.

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Die Liebe Jesu ist eine völlige Liebe, und gerade deshalb ist es keine weichliche Liebe. Sie lehnt das Böse ab und bekämpft es bis aufs letzte, ob es ein Balken oder ein Splitter im Auge sei. Deshalb ruft Jesus ein siebenfaches Wehe über die falschen Propheten aus. Deshalb verkündigt er in der Ansage des schauerlichen Gerichtes die Katastrophe der letzten Tage dieser Welt. Seine letzten Reden sind durchglüht von der Gewißheit, daß ein furchtbares Feuergericht über diese Erde und Menschen kommen muß, weil sie sich von seiner Liebe nicht gewinnen lassen wollen, sondern in ihrer Herzlosigkeit und Gott-Feindseligkeit verharren.

Diese Haltung der Menschen wurde offenbar in dem Leben Jesu. Als Feind der Menschen, als Feind des besten Staates, als Feind der besten Kirche wurde er hingerichtet. Alles, was Jesus gesagt hat, hat er getan. Das Leben Jesu ist das Tun seiner Liebe und das Ausleben seiner gesamten Verkündigung; alles, was er in der Bergpredigt und in allen seinen Gleichnissen verkündet hatte, hat er verwirklicht in der Sammlung seiner 12 Schüler, in der Gütergemeinschaft und Wandergemeinschaft, in der Obdachlosigkeit und liebenden Hingabe dieses gemeinsamen Lebens der Wandergemeinschaft und weiter: dasselbe hat er verwirklicht in der Aussendung dieser seiner Schüler, die als Ausgesandte, ja als Gottes rechte politische Gesandte des kommenden Reiches die ganze Vollmacht und die ganze Liebe des Gottesreiches in der Aussendung zu vertreten hatten.

Jesus bewies seine Tragfähigkeit und das Wunder seiner Gemeinschaftskraft, wie er mit diesen oft so törichten Schülern die Gemeinschaft durchgehalten hat bis ans Ende, bis sie flohen, als er gekreuzigt wurde, wie er das völlig gemeinsame Leben in der treuen Unterweisung und Unterrichtung seiner Schüler in der Lehre seiner Wahrheit bis ans Ende durchgeführt hat. Die vier Evangelien, aus denen wir diesen Einblick in das Leben Jesu haben, sind geschrieben lange Zeit nach dem Tode Jesu; aber sie sind geschrieben worden aus dem Ergebnis des täglichen Unterrichts Jesu und aus der Fortsetzung dieser Lehren in der Gemeinde Jesu; denn die Gemeinde Jesu hat die Geschichten Jesu Christi immer wieder erzählt, so oft sie zusammengekommen ist: unter den ersten Christen, später unter den Waldensern und unseren alten Brüdern und unter vielen anderen. -

Der Mensch bedarf der Erinnerung, der Auffrischung des Gedächtnisses. Und durch diese mündliche Weitergabe der Geschichten Jesu, durch diese Freude daran, immer wieder zu erzählen, wer Jesus war, was er tat und sagte, wird die Wahrheit getragen von Herz zu Herz, von einem Leben in das andere hinein.

Am Ende des Johannes-Evangeliums wird es ausgesprochen, daß Jesus noch viele andere Dinge getan habe; aber wenn alle diese Taten niedergeschrieben werden sollten, so könnte die Welt die Bücher nicht fassen, die dann zu schreiben wären. Aber die Taten, die aufgeschrieben wurden, zeigen uns aufs

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deutlichste den innersten Inhalt seines Lebens mit seiner ganzen Vollmacht. Was er im Kreise seiner Begleitschaft getan hat, war nichts anderes als das, was er gesagt und verkündet hatte, eine Äußerung der Liebe, der sich Leib, Seele und Geist in gleicher Weise hingibt. An seinem Tun hat es sich erwiesen, was das sein wird, was er verkündigt hat.

Am gewaltigsten wird das deutlich an der Austreibung der Teufelsmächte und der Dämonen: Die Herrschaft des Reiches Gottes sei da, wenn die Teufel ausgetrieben würden aus den menschlichen Leibern durch den Finger des heiligen Geistes. Und ebenso zeigen die Krankenheilungen, daß der Tod und die Wurzel des Todes in der Sünde beseitigt war durch das Kommen Jesu und durch das Nahen des Reiches Gottes. Denn der Todesgeist ist der eigentliche Feind des Lebensgeistes. Der Tod ist der letzte Feind Gottes. Und deshalb heilt Jesus die Kranken. Er heilt die an einem lebensgefährlichen Ausschlag oder Aussatz Leidenden; er heilt die, denen Sinne abstarben, wie Blinde und Taube; er heilt die, die an innerem Leiden ihre Lebenskraft verloren; er heilt die Gelähmten, die infolge eines ausschweifenden Lebens ihre Knochenkraft verloren haben, die einen abgestorbenen Arm haben oder die am Fieber leiden. Er macht die Tauben und Stummen wieder redend und hörend. Er richtet verkümmerte Körper wieder auf; er heilt Kranke, die schon jahrelang vergebens auf eine Wunderheilung gewartet haben, auch jemand, der durch einen seiner Schüler an seiner leiblichen Gesundheit gehindert war. Er heilt auch eine Verwandte seines Schülers Petrus, die Schwiegermutter, die am Fieber darniederlag. Er heilt Wassersüchtige und Sterbende.

Er beweist mit dem allen, daß die Macht des Teufels nicht eine allein seelische Angelegenheit ist. Er will durch diese Krankenheilungen zeigen: Der Teufel ist eine verseuchende und zerstörende Gewalt, auch auf leiblichem Gebiet. Und wo Jesus eingreift, wird diese zerstörende Gewalt zurückgeschlagen und die Körper werden wieder gewonnen für die Ehre Gottes und für die Heiligkeit seines Namens.

Deshalb kann Jesus auch nicht vor dem Tode Halt machen; denn der Tod ist die schwerste Krankheit, und alle anderen Krankheiten sind nichts anders als Vorwehen des Todes. Der Tod ist die letzte Waffe der satanischen Macht. Deshalb wendet sich Jesus an Verstorbene; er erweckt solche zum Leben, deren Leiber bereits in Verwesung übergegeangen waren. Er tastet die Leichname an: Tote werden auferweckt durch das Eingreifen Jesu Christi. Gerade dem Tode gegenüber mußte er die Macht des Lebens beweisen. Ohne die Auferstehung, ohne die Erweckung vom Tode ist die Nachricht von Gott und seinem Leben null

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und nichtig. Deshalb ist die Tatsache der auferweckenden Kraft Jesu Christi eine zentrale Wirklichkeit seines Lebens und seines Evangeliums.

Aber Jesus bleibt nicht stehen bei den Dingen, die die menschlichen Leiber betreffen; sondern seine Taten gehen weiter. Wenn er die 4000 gespeist hat und die 5000 mit Nahrung versorgt hat, und wenn er bei der Hochzeit zu Kana Wein geschaffen hat, so ist das alles immer noch eine Hilfe an den Leibern der Menschen, wie ebenso der wunderbare Fischzug im See Genezareth. Aber wenn Jesus den Sturm gestillt hat, der über den See Genezareth dahinbrauste, wenn Jesus den Feigenbaum zum Verdorren gebracht hat, hat er gezeigt, daß alle anderen Elemente der Schöpfung angerührt werden müssen durch seinen Atem und das Herannahen seines Reiches, daß er die Herrschaft habe über alle Elemente der Schöpfung, daß alles umgestaltet werden muß zu dem ganz Neuen, das da kommt.

Alles, was Jesus so in seinen vollmächtigen Taten getan hat, ist ein Hinweis auf das Ende der Tage und auf den Beginn des Reiches Gottes, daß auch in der Natur der ersten Schöpfung, auch an den Leibern der geschaffenen und geborenen Menschen ein letztes Wunder geschehen soll, wenn Gott und seine Herrschaft naht; daß also die Liebe Gottes sich nicht nur der Seele des innersten Menschen zuwendet, sondern vielmehr ebenso dem äußeren Dasein und dem Aufbau der gesamten Natur. Gewiß bleibt es entscheidend, was innerlich an dem Einzelnen geschieht, auch in sofern, als sonst der Einzelne keinen Anteil hat; aber das große Interesse Gottes ist auf die gesamte Schöpfung, auf die ganze Natur aller Welten gerichtet, daß an ihnen allen das Neue geschehen soll, welches da ist das Reich Gottes. Gewiß soll und muß der Einzelne aufhören, das Böse zu tun, wenn sein Leib geheilt wird. Gewiß wird die Vollmacht der Vergebung der Sünde geoffenbart werden, das Wegnehmen des Bösen an jedem einzelnen in Kraft treten, wenn die Heilung des Leibes und die Verkündigung des Reiches Gottes sein Teil werden soll. Die Gewalt des Bösen muß weggeräumt werden aus dem Herzen des Menschen; aber dies soll nur geschehen, damit der einzelne Mensch nicht das überschätzt, was in seiner kleinen Seele vorgeht, sondern dazu, daß der einzelne Mensch frei wird von sich selbst für das große gewaltige Werk, was in dem Herannahen des Reiches Gottes auf diese Erde kommt und alle ergreift.

Die Werke des Teufels sollen zerstört werden; die Schöpfung, die durch die Querwirkung Satans verdorben ist, soll wiederhergestellt werden zu der ganzen Lebendigkeit, wie Gott sie von Urbeginn an gewollt hat. Alles, was geschieht, ist ein Zeichen und Symbol für das Große, Kommende, wenn das unbesiegbare Leben der zweiten Schöpfung offenbar werden wird, wenn auch der Tod als der letzte Feind überwunden werden wird, wenn Gott herrschen wird als der schöpferische Geist der

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neuen Natur. Deshalb mußte dieses Geheimnis offenbar werden an Jesus selbst. So ist er wahrhaftig auferstanden und als der Lebendige offenbar geworden. So ist er, der Auferstandene, in der Gemeinde durch die Ausgießung des Heiligen Geistes gegenwärtig. Das Erlebnis der Geistesausgießung in der Gemeinde ist die Erfüllung des Wortes: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welten Ende. Mir ist gegeben alle Vollmacht im Himmel und auf der Erde. Hier, im Heiligen Geist, ist der König des kommenden Reiches gegenwärtig. Der Geist der Gemeinde ist die Anwesenheit des Königs, der alle Welten für Gott erobert. Der Heilige Geist als der Inhalt des Gemeindelebens ist die Gewißheit der Freudennachricht, daß Jesus kommt als der König des Endreiches.

Und so schließen wir mit diesem letzten Ausblick der Gemeinde, in welchem die Stimme vom Himmel offenbart in der Offenbarung des Johannes, was das Ende der ersten Auferstehung sein wird: Selig und heilig ist, wer teil hat an der ersten Auferstehung. Über sie hat der zweite Tod keine Gewalt.